Die Wenzels und der Wein oder: Vom Naturwein der ganz alten Schule

In der Familie Wenzel wird seit 1647 Wein gemacht. Michael, du bist Weinbauer in 12. Generation. Wie prägt das deine Arbeit? 

Michael: Ich habe aus meiner Kindheit Bilder vor Augen, wie der Opa und der Vater schon draußen im Weingarten begonnen haben, die Trauben zu stampfen. Aus dem einfachen Grund, weil man damals nicht genug Bottiche hatte, um alle Trauben unterzubringen. Und das Ganze bei Lesetemperaturen um die 20 Grad. Im Endeffekt wurden Wenzel-Weine also schon damals zu einem Großteil mit einer gewissen Maischestandzeit verarbeitet. Und dann hat mein Opa über ein Sieb den Most in einen Holzbottich plätschern lassen. Heute würde man das kontrollierte Mostoxidation nennen und genau erklären können, warum es zu einem wesentlich stabileren Wein führt. Mein Opa hat es gemacht, weil die Pressen noch nicht so perfekt waren, weshalb oft noch Kerne oder Schalenteile im Most waren. Diese Teile wollte er halt nicht in der Vergärung haben. Dann hat er den Most relativ trüb in klassische österreichische Fässer von 800 bis 1000 Litern gefüllt. So war das eben. Dass man spontan und ohne Temperaturregulierung in einem großen Holzfass vergärt, war damals nicht der Rede wert, weil: wie sonst? Heute kann man Vieles davon auch wissenschaftlich erklären. Damals hat man es gemacht, weil man die Erfahrung hatte, dass auf diese Weise ein guter, bekömmlicher Wein entsteht. 

 

Als dein Vater und Großvater Wein gemacht haben, war aber von selektiver Lese und Qualitätssteigerung noch keine Rede. Es galt die Prämisse: mehr ist mehr.

Michael: In den 1950er, 1960er Jahren war das sicher der Fall. Der Weinkonsum war hoch, in Österreich etwa doppelt so hoch wie heute. Es gab auch noch eine authentische Tischwein-Kultur. Unter der Woche ist bei uns zu Mittag eine Flasche Wein am Tisch gestanden. In dieser Zeit gab es auch noch viele gemischte Betriebe. Acker- und Weinbau wurden mit denselben Traktoren gemacht, deswegen standen die Zeilen relativ weit auseinander, zugleich wurde mit den Innovationen der Lenz-Moser-Kultur eine Rationalisierung und Kostensenkung angestrebt. Lenz Moser war mit meinem Opa übrigens gut befreundet. Sie waren in den 1920er Jahren beide Hospitanten in Klosterneuburg. Man hat damals erkannt, dass durch die Mechanisierung der Weingärten Kosten eingespart werden können. Das war in den 1950er Jahren schon wichtig, es waren ja wirklich bitterarme Jahre. Die Familie Wenzel war dadurch, dass sie schon sehr früh ihre Weine in Bouteillen mit eigenem Etikett abgefüllt hat, mit einer zahlungskräftigeren Kundschaft gesegnet. Aber natürlich sind auch immer wieder Leute von der Straße auf den Hof gekommen und haben gefragt: Was kostet der Doppler bei euch? Das war der Geist. 

 

Mit der Stockkultur, die du vor allem in deinen Pinot- und Furmint-Weingärten einsetzt, gehst du jetzt noch einen Schritt zurück hinter diese Zeit.

Michael: Für mich ist das ein Forschungsprojekt. Ich möchte wissen, was die Stockkultur von der Drahtrahmen-Kultur unterscheidet. Mich interessiert, wie die Natur darauf reagiert.

Sonja: Jeder, der das persönlich erlebt, spürt den Unterschied. Wenn du im Hochsommer in die Stockkulturen hineingehst, hast du sofort das Gefühl, dass die Weingärten vitaler sind, dass in ihnen mehr Leben ist. Da macht natürlich auch die Arbeit mehr Freude.

 

Wie funktioniert die Stockkultur genau?

Michael: Jeder Rebstock hat eine Holzstütze, auf die die Triebe mit natürlich abbaubaren Hanfbändern aufgebunden werden. Dadurch habe ich kein Metall mehr im Weingarten. Die Natur bleibt unter sich. Und die Reben wachsen frei nach oben. Der Stock selbst ist sehr niedrig, ähnlich wie ein Rosenstock. So entsteht eine viel flexiblere Einheit, die Transportwege für Wasser und Nährstoffe sind kürzer. Außerdem profitiert die Pflanze von der Bodenwärme. Die Reben sind einfach vitaler. Dafür sind sie sehr eng gepflanzt, wodurch eine positive Konkurrenzsituation entsteht.

 

Wie verändern sich die Trauben dadurch?

Michael: Der wesentliche Unterschied ist, dass die physiologische Reife schon bei niedrigeren Zuckergraden erreicht wird. Das bewirkt eine frische, aber harmonische Säurestruktur. 

Sonja: Du bekommst einfach mehr von dem in die Flasche, was du im Weingarten machst. Mehr Vitalität, mehr Geschmack.

Michael: In Wahrheit geht der Trend immer noch in Richtung Mechanisierung. Ich mache hier genau das Gegenteil. Ich möchte sehen, was passiert, wenn kein Traktor mehr im Weingarten ist, wenn kein Metall mehr im Weingarten ist. 

 

Du hast selbst viele Jahre lang konventionellen Weinbau betrieben. Wann hast du dich dem Naturwein zugewendet – und warum? 

Michael: Ich wurde in der Weinbauschule geprägt: Einsatz von Reinzuchthefen, kein Säureabbau, sterile Filtration. Daran ist nichts auszusetzen, aber du erzeugst auf diese Weise ein alkoholisches Getränk und keinen Wein, der eine Seele hat und von seiner Herkunft erzählt. Das ist die reine, technologisierte Uniformität. Aber damals war es halt state of the art, es war modern. Damals waren auch Barriques ein Qualitätsausweis. Noch vor 20 Jahren konntest du mit 100-prozentigem Barrique-Ausbau davon ausgehen, dass du in den Bewertungen vier Punkte mehr kassierst. Aber ich habe auf meinen Reisen Erfahrungen gemacht, die meine Haltung verändert haben. Zum Beispiel war ich häufig im Burgund unterwegs. Dort gilt seit vielen Jahrzehnten ganz selbstverständlich die Regel: je höherwertiger der Wein, desto weniger neues Holz. Es ist ja auch logisch. Ich will bei einem Grand Cru Chassagne-Montrachet den Boden schmecken und nicht nur Vanille-Aromen. Ein einschneidendes Jahr für mich war sicher auch 2008. In dem Jahr habe ich aufgehört, synthetische Pflanzenschutzmittel zu verwenden. Es gab bei uns im Betrieb – auch zur Zeit meines Vaters und Großvaters – ja nie die ganz schweren Hämmer, keine Herbizide oder Insektizide, es war also in Wirklichkeit ein fließender Übergang. Aber es war doch ein Unterschied. Ich habe Jahr für Jahr beobachten können, wie sich die Pflanzen auf einen neuen Stoffwechsel einstellen. Das war eine großartige Erfahrung. Sehr faszinierend. Darum sage ich auch: Naturweinbereitung kann nur im Weingarten beginnen. Die Arbeit im Keller wird eigentlich überbetont.

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