Vom Respekt des Weinbauern für die Natur

Ein (langes) Gespräch mit Sebastian Hofer

Es gibt Wenzel-Weine in Rot, Weiß und Orange, es gibt trübe, klare, süße, reinsortige und cuvéetierte Wenzel-Weine. Entschuldigt die blöde Frage: Sind das denn nun alles Naturweine?

Michael: Das ist gar keine blöde Frage. Das ist der zentrale Punkt. Ja, alle diese Weine sind Naturweine. Ob etwas Naturwein ist oder nicht, wird nicht beim Ausbau, sondern im Weingarten entschieden. Es ist im Grunde nebensächlich, ob ein Wein acht Stunden auf der Maische liegt oder zwei Tage. Entscheidend ist, was im Weingarten passiert. Und dabei geht es in erster Linie um biologische oder biodynamische Bewirtschaftung.

Nicht jeder Bio-Wein ist ein Naturwein. Aber jeder Naturwein wird ein Bio-Wein sein müssen. Naturwein nenne ich das Produkt des reinen, unverfälscht vergorenen Traubensafts. Die biologische Bewirtschaftung ist schlicht die Voraussetzung, wobei es für mich nicht um das sture Befolgen von gesetzlichen Vorschriften geht. Es geht mir um eine ehrliche, nachvollziehbare Landwirtschaft. Es geht nicht um Gesetzestexte, sondern um die Menschen und ihr Verhältnis zur Natur. Der Faktor Mensch ist auch bei der Naturweinwerdung ein ganz wesentlicher. Man kultiviert die Vitalität: die Rebe ist eine Kulturpflanze. 


Naturwein heißt also auch nicht: unkontrollierter Wildwuchs?

Michael: Es gibt tatsächlich Methoden, bei denen man die Reben wie eine Hecke wachsen lässt und gar nicht mehr schneidet. Aber selbst das muss man richtig machen. Der menschliche Faktor ist immer vorhanden. Aber es macht eben einen riesigen Unterschied, ob ich mit Vier-Tonnen-Traktoren in meinen Weingarten fahre und mit Pflanzenschutzmitteln arbeite, die systemisch wirken, also in den Stoffwechsel der Rebe eingreifen - oder ob ich mit natürlichen Mitteln die Eigenabwehrkräfte der Pflanzen stärke und nur mit leichten Maschinen hineinfahre – wenn überhaupt. Das ist für mich die Grundlage von Naturwein. Ich selbst bin nicht der, der aus Most Wein macht. Das machen die Hefen. Naturwein hängt mit der Vitalität im Weingarten zusammen, mit gesunden Hefen, die mir den Most in das Naturprodukt Wein verwandeln. Naturhefen sind - und das ist mir selbst auch erst spät in dieser Deutlichkeit klargeworden - die eigentlichen Wine Maker. Meine Verantwortung als Weinbauer ist, der Natur meinen Respekt zu schenken.


Der Winzer sieht der Natur aber eben nicht nur beim Arbeiten zu. Welchen Einfluss hat der Winzer, welche Entscheidungen trifft er?

Michael: Als Kind habe ich einmal ein Neujahrskonzert unter der Leitung Herbert von Karajans gesehen. Er ist nur an seinem Pult gestanden, hat kaum ein paar Finger bewegt, aber die Wiener Philharmoniker haben göttlich gespielt. So stelle ich mir das vor. Der Weinbauer interpretiert die Partitur, die die Natur ihm vorlegt. Du musst nicht viel selber tun, aber du musst den Prozess doch kontrollieren. Aus Most wird auf natürliche Weise Wein. Aber wenn du gar nichts tust, wird aus Wein auch schnell Essig. Wir wollen ein sauberes Produkt herstellen, ohne Mikroorganismen, die den Genuss oder gar die Gesundheit beeinträchtigen. Meine Rolle ist die eines sehr zurückgenommenen Dirigenten. Aber die Musik machen nicht wir. 

Sonja: Wir fügen nichts hinzu, wir nehmen nichts weg. Aber wir schauen immer, dass nichts passiert. 

 

Was bedeutet das konkret? Was macht der Weinbauer-Dirigent?

Michael: Das erste ist ganz banal: Er bestimmt den Erntezeitpunkt. Er kennt seine Weingärten so gut, dass er genau weiß, wann seine Trauben geerntet werden müssen. Wenn du den richtigen Zeitpunkt erwischt, hast du schon einen enormen Schritt gemacht. 

Sonja: Im Keller musst du dann zum Beispiel entscheiden: Gibst du die Trauben sofort in die Presse oder lässt du sie auf der Maische liegen, und wenn ja, wie lange? In welchem Gebinde findet die Vergärung statt – im Stahltank, im Holzfass, in der Amphore? Wie lange bleibt der Wein auf der Feinhefe liegen?

 

Kann man das vorher planen, oder wird das jeweils spontan entschieden?

Michael: Man hat schon gewisse Erfahrungswerte.

Sonja: Einen Klassiker wie unseren „Lockvogel“ legen wir immer auf die Maische. Jedes Jahr mag anders sein, aber manche Weine werden dennoch immer sehr ähnlich gemacht. Und dann gibt es noch Experimente, auf die man sich einlassen kann – je nachdem, wie die Trauben beschaffen sind.

Michael: Da ist einerseits sehr viel Gefühl im Spiel, andererseits arbeitet man doch auf physiologischen Grundlagen. Ein Beispiel: Je länger der Wein auf der Maische gelegen ist, desto mehr Traubenkerntannin enthält er, und das kann, wenn die Kerne noch nicht völlig ausgereift sind, am Gaumen einfach zu hart werden. Das sind Dinge, die man schon wissen muss. 

 

Gibt es auch Experimente, die völlig schief gehen?

Michael: Darüber redet man nicht gerne, aber natürlich schlagen manche Experimente fehl. Deswegen kann ich ja auch die technisierte Weinbereitung sehr gut nachvollziehen. Ich habe das alles an der Weinbauschule Klosterneuburg genauestens studiert. Ich war dort Ende der 1980er Jahre Schüler, also auf dem historischen Höhepunkt der Technologisierung. Das Hauptargument dieser Richtung lautet: Wir minimieren unser Risiko. Daran gibt es eigentlich nichts auszusetzen. Aber Risiko ist für mich eben nicht automatisch negativ. Risiko ist für mich wie ein Messer – zunächst einmal wertneutral. Mit einem Messer kann ich ein Brot schneiden – oder ich kann jemand damit umbringen. Ein Önologe in Neuseeland hat einmal zu mir gesagt: Michael, ich mag lieber die Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Das halte ich für einen wichtigen Gedanken: Risiko birgt ein Potenzial. Aber natürlich kann es auch danebengehen.

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